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ISSN 2753-4812
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Drei grundlegende Aspekte des Pfades

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Drei grundlegende Aspekte des Pfades

von Je Tsongkhapa Lobzang Drakpa

Verehrung den kostbaren, edlen Meistern!

  1. Die Essenz aller Lehren des Buddha,
    den Pfad, den die edlen Bodhisattvas rühmen,
    und die Pforte für all jene Glücklichen, die sich nach Befreiung sehnen,
    werde ich nun, so gut ich kann, darlegen.

  2. Ihr, die ihr nicht an den Genüssen Saṃsāras hängt
    und euch darum bemüht, vollen Nutzen aus den Freiheiten und Vorteilen zu ziehen,
    ihr, die ihr dem Pfad folgt, der alle Buddhas freudig stimmt,
    ihr Glücklichen, hört mir gut zu, mit einem klaren und offenen Geist.

  3. Solange es dir an reiner Entsagung mangelt, ist es unmöglich,
    den unaufhörlichen Durst nach Vergnügen im Ozean von Saṃsāra zu stillen.
    Und da alle fühlenden Wesen in den Fesseln ihres Verlangens nach Existenz gefangen sind,
    musst du als erstes den Entschluss fassen, frei zu sein.

  4. Die Freiheiten und Vorteile sind selten, wir dürfen keine Zeit verschwenden –
    denke darüber immer wieder nach und vertreibe somit jede Anhaftung an dieses Leben.
    Um die Anhaftung an zukünftige Leben zu beseitigen, kontempliere immer wieder
    über die unfehlbaren Resultate des Karma und das Leid in Saṃsāra.

  5. Wenn du dir angewöhnt hast, auf diese Weise zu denken,
    und sich kein Schimmer von Hoffnung auf die Freuden Saṃsāras mehr in dir regt
    und du dich Tag und Nacht nach Befreiung sehnst,
    dann ist der Zeitpunkt gekommen, in dem wahre Entsagung entstanden ist.

  6. Sollte diese Entsagung jedoch nicht
    mit der reinen Motivation von Bodhicitta verbunden sein,
    wird sie nicht zu einer Ursache für die vollkommene Glückseligkeit unübertroffener Erleuchtung werden.
    Wer weise ist, sollte daher höchstes Bodhicitta entwickeln.

  7. Die Wesen werden von der kraftvollen Strömung der vier Flüsse mitgerissen,[1]
    sind gefesselt mit den engen Ketten ihres Karma, die sich so schwer lösen lassen,
    gefangen in der eisernen Falle ihres Greifens nach einem Selbst
    und verschleiert von der tiefen Dunkelheit der Unwissenheit.

  8. Immer wieder aufs Neue werden sie im unendlichen Saṃsāra wiedergeboren
    und erleben fortwährend die Qualen der drei Arten von Leiden.[2]
    Das ist die gegenwärtige Situation all deiner Mütter aus früheren Leben –
    denke über ihre Not nach und entwickle höchstes Bodhicitta.

  9. Sollte es dir an der Weisheit mangeln, die die Natur der Dinge erkennt,
    wird dir selbst deine wachsende Vertrautheit mit Entsagung und Bodhicitta
    nicht helfen, die bedingte Existenz an ihrer Wurzel zu durchtrennen.
    Übe dich daher in den Methoden, die dir ein Verständnis des abhängigen Entstehens vermitteln.

  10. Jene, die verstehen, dass Ursache und Wirkung unfehlbar
    für alle Phänomene von Saṃsāra und Nirvāṇa gelten,
    und für die jegliche Objekte konzeptueller Ausrichtung erloschen sind,
    haben den Pfad eingeschlagen, der alle Buddhas freudig stimmt.

  11. Das Verständnis, dass sich Erscheinungen unfehlbar in Abhängigkeit erheben,
    und das Verständnis, dass sie leer sind und sich aller Behauptungen entziehen –
    so lange dir diese beiden als voneinander getrennt erscheinen,
    wirst du die Weisheit des Buddha nicht verwirklichen können.

  12. Wenn sie sich allerdings gleichzeitig erheben, nicht eines nach dem anderen sondern beide gemeinsam,
    stellt sich durch die bloße Wahrnehmung des unfehlbaren abhängigen Entstehens
    eine Gewissheit ein und jegliches falsches Verständnis kommt zum Erliegen –
    in dem Moment erreicht das Unterscheidungsvermögen der Sicht seine Vollkommenheit.

  13. Versteht du, dass Erscheinungen das Extrem der Existenz beseitigen,
    während das Extrem des Nichts durch Leerheit aufgelöst wird,[3]
    und gelangst du auch zu dem Verständnis, dass sich Leerheit als Ursache und Wirkung erhebt,
    dann werden dir Sichtweisen, die ein Anhaften an Extreme zur Folge haben, nichts mehr anhaben können.

  14. Wenn du auf diese Weise die wesentlichen Punkte
    der drei grundlegenden Aspekte des Pfades richtig verstanden hast,
    begib dich in die Abgeschiedenheit, lieber Sohn, verstärke deinen Eifer
    und erreiche rasch das letztendliche und dauerhafte Ziel.

Diesen Ratschlag gab der Bhikṣu umfassender Gelehrsamkeit, Lobzang Drakpe Pal, an Tsakho Önpo Ngawang Drakpa.

| Übersetzung ins Englische: Adam Pearcey 2006, Überarbeitung 2012. Deutsche Übersetzung: Jurek Schreiner, 2013 unter Mitarbeit von Karin Behrendt.


  1. Gemäß Ngulchu Dharmabhadra bezieht sich dies entweder auf das Leiden an Geburt, Alter, Krankheit und Tod oder auf die vier Flüsse von Verlangen, Werden, Unwissenheit und Überzeugung.  ↩

  2. Das Leid des Leidens, das Leid durch Veränderung und das alles durchdringende Leid der bedingten Existenz.  ↩

  3. Für gewöhnlich wird gesagt, dass die Tatsache, dass Dinge erscheinen, das Extrem des Nihilismus unterbindet bzw. die Überzeugung, dass Dinge überhaupt nicht existieren, und dass Leerheit das Extrem des Ewigkeitsdenkens beseitigt bzw. die Überzeugung, dass Dinge wirklich vorhanden sind. Hier geht Tsongkhapa einen Schritt weiter und sagt, dass die Tatsache, dass Dinge erscheinen, das Extrem beseitigt, Dinge als tatsächlich existierend anzusehen, denn damit Dinge erscheinen können, müssen sie frei von einer innewohnenden Existenz sein. Darüberhinaus beseitigt die Tatsache, dass Dinge leer sind, das Extrem der Nicht-Existenz, weil Dinge nur aufgrund ihrer Leerheit erscheinen können.  ↩

Tsongkhapa Lobzang Drakpa

Je Tsongkhapa Lobzang Drakpa

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