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ISSN 2753-4812
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30 Herzensratschläge

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30 Herzensratschläge

von Longchen Rabjam

Von seinen unermesslichen Wolken aus Gebeten, die der Weisheit entstammen, welche die gesamte Dimension der Realität durchdringt, und hervorgerufen durch Sonnenstrahlen des Mitgefühls, fällt fortwährend Nektar auf das Feld der Schüler und lässt die Sprösslinge der drei Kayas heranreifen. Ich verneige mich zu Füßen des Lehrers, der die Drei Juwelen verkörpert und beschützt.

Obgleich ich Kraft meiner Gebete in die ehrwürdige Linie der Vervollkommnung eingetreten bin, ist mein Leben aus Mangel an Bemühung bedeutungslos geworden, und nun ist es am Schwinden. Ich wollte aufrichtig handeln, doch jetzt bin ich verzweifelt und habe viele wie mich gesehen. Ausgehend von dieser Entsagung, habe ich die 30 Herzensempfehlungen verfasst.

  1. KYEHO! Wenn wir dank verschiedener Methoden eine große Gefolgschaft um uns versammeln,
    Und so die richtigen Umstände schaffen, ein Kloster zu errichten,
    Wird dies zu einem Feld von Streitereien, das Anhaftung verursacht.
    ‚Bleib’ alleine’, ist mein Herzensrat.

  2. Wer Dorfzeremonien abhält sowie die Zähmung der Dämonen verstorbener Kinder oder lebender Menschen
    Und so sein Können wie Handelsware inmitten der Leute verkauft—
    Aus Anhaftung an Essen und Reichtum wird er vom Dämon (seines eigenen) Geistes hinweggetragen werden.
    ‚Den eignen Geist zu zähmen’, ist mein Herzensrat.

  3. Indem wir den Armen Spenden abnehmen als seien es Steuern,
    Können wir große Statuen errichten und großartige Gaben darbringen,
    Doch auch wenn wir tugendhafte Ziele verfolgen, spornen wir andere an, negative Handlungen zu begehen.
    ‚Den eignen Geist tugendhaft zu halten’, ist mein Herzensrat.

  4. Anderen spirituelle Belehrungen zu geben mit dem Wunsch, die eigene Großartigkeit zu zeigen und
    Eine Gefolgschaft von wichtigen und bescheidenen Leuten durch geschickte Methoden um sich zu sammeln—
    Ein Geist, der mit diesen Dingen beschäftigt ist, ist die Quelle von Stolz.
    ‚Wenige Bestrebungen zu haben’, ist mein Herzensrat.

  5. Auch wenn wir hundert kostbare Dinge darbieten, wurden diese doch durch falsche Lebensführung erworben—
    Wie Geschäftemacherei, Zinsen erheben, Täuschung und so fort.
    Zwar versuchen wir, tugendhaft zu handeln, gleichwohl ist dies ein Grund für die acht weltlichen Dharmas.
    ‚Über Entsagung zu meditieren’, ist mein Herzensrat.

  6. Durch Übernehmen von Verantwortung, Zeuge zu sein und das Gesetz durchzusetzen und dergleichen,
    Versöhnen wir zwar Menschen bei Streitigkeiten und glauben, wir helfen ihnen,
    Und doch entsteht nur Ablehnung und Anhaftung.
    ‚Frei von Hoffnung und Befürchtung zu sein’, ist mein Herzensrat.

  7. Untergebene, Reichtum, eine Gefolgschaft und glückliche Umstände
    Sowie Ruhm, der die ganze Welt durchdringt,
    Wird im Moment des Todes nicht von Nutzen sein.
    ‚Sich mit Ausdauer der Praxis hinzugeben’, ist mein Herzensrat.

  8. Obschon Verwalter, Bedienstete, Verantwortliche und Köche
    Die Lebensader eines Klosters sind,
    Ist dualistische Wahrnehmung die Ursache für Streit.
    ‚Solche Aufgaben aufzugeben’, ist mein Herzensrat.

  9. Wenn wir alles, was wir als notwendig erachten, schnell zusammengesucht, mit in eine Höhle nehmen—
    Wie Statuen, Gaben, Texte, Kochutensilien und Ähnliches mehr,
    Wird all dies zur Ursache für Leiden und Streit.
    ‚Sei genügsam’, ist mein Herzensrat.

  10. Einer gereizten Gefolgschaft trotz helfender Absicht ihre Fehler zu zeigen
    In diesen degenerierten Zeiten,
    Ist Ursache für negative Geisteshaltungen.
    ‚Sprich friedvoll’, ist deshalb mein Herzensrat.

  11. Geben wir ganz ohne Eigennutz Ratschläge, einzig aus dem Wunsch zu helfen,
    Und decken liebevoll verborgene Fehler anderer auf,
    Mögen wir zwar ehrlich sein, doch verursachen wir Kummer und Leid.
    ‚Sprich angenehm’, ist mein Herzensrat.

  12. Wenn wir unsere Seite in Debatten unterstützen und die andere bezwingen,
    Mögen wir denken, dies sei der Weg, für die Lehren einzutreten,
    Doch es ist die Ursache für negative Geisteshaltungen.
    ‚Beende Deine Reden’, ist mein Herzensrat.

  13. Voreingenommen vom eigenen Lama, der eigenen Linie und Praxis,
    Glauben wir, diesen zu dienen.
    Doch unsere Seite zu preisen, während wir andere herabsetzen, ist Ursache für Anhaftung und Ablehnung.
    ‚All dies zu lassen’, ist mein Herzensrat.

  14. Nachdem wir die (eigenen) Lehren studiert, analysiert und untersucht haben,
    Finden wir vielleicht Fehler in den Lehren der anderen und denken, dies sei Weisheit.
    Und dennoch sammeln wir nur negative Handlungen an.
    ‚Sich in reiner Sicht zu üben’, ist mein Herzensrat.

  15. Über reine Leerheit sprechend und Ursache und Wirkung missachtend,
    Meinen wir, Nichthandeln sei die höchste Praxis,
    So geben wir die zwei Arten der Ansammlungen auf.
    ‚Beides zu vereinigen’, ist mein Herzensrat.

  16. Um die dritte Ermächtigung zu praktizieren, lassen wir die innerste Essenz herabfließen,
    Im Glauben, wir würden unsere Praxis steigern, indem wir die Methode der Vereinigung mit einem Gefährten anwenden;
    Viele indes wurden irregeführt durch derlei verunreinigenden Wege.
    ‚Praktiziere den Pfad der Befreiung’, ist mein Herzensrat.

  17. Ermächtigungen zu erteilen an Leute, die nicht geeignet sind,
    Und gesegnete Substanzen gewöhnlichen Menschen zu geben,
    Ist Grundlage für üble Nachrede und den Verfall des Samaya.
    ‚Am angemessenen Platz zu beginnen’, ist mein Herzensrat.

  18. Sich inmitten gewöhnlicher Menschen nackt zeigend und Ähnliches mehr,
    Glauben wir, dies’ exzentrische Verhalten sei Teil fortgeschrittener yogischer Praktiken.
    Gleichwohl ist es Ursache für weltliche Wesen, ihr Vertrauen in das zu verlieren, was rein ist.
    ‚Handle mit Achtsamkeit’, ist mein Herzensrat.

  19. Danach zu streben, im eigenen Umfeld herauszuragen,
    Auch wenn wir rein handeln und gelehrt sind,
    Ist Ursache für das Herabfallen vom höchsten Rang zum tiefsten.
    ‚Weder zu angespannt noch zu locker zu sein’, ist mein Herzensrat.

  20. In Dörfern, Klöstern, Höhlen und dergleichen,
    Wo immer wir auch sind, wir sollten keine engen Freundschaften suchen.
    Wem immer wir begegnen, wir sollten weder zu freundlich noch feindselig sein.
    ‚Bleibe unabhängig’, ist mein Herzensrat.

  21. Um an Zuwendungen von Gläubigen zu gelangen,
    Erweisen wir Respekt auf heuchlerische Art, im Verlangen nach Beachtung;
    Gleichwohl führt dies zu Bindung und Abhängigkeit.
    ‚Alles als gleich zu sehen’, ist mein Herzensrat.

  22. Es gibt viele Texte zur Fertigung (verschiedener Dinge), zu Astrologie und Medizin,
    Sie alle sind Quellen für die Einsicht in das Wirken des abhängigen Entstehens.
    Zu viele Dinge zu wissen indes, ist Ursache für den Verfall unserer Meditation.
    ‚Die Objekte unseres Wissens zu verringern’, ist mein Herzensrat.

  23. Den neuen Ort wie unser Heim zu gestalten,
    Wenn wir in die Einsamkeit gehen,
    Ist Ursache für die sinnlose Vergeudung unserer Lebenszeit.
    ‚Verzichte auf zu viele Aktivitäten’, ist mein Herzensrat.

  24. Es mögen sich herausragende Qualitäten im Streben nach
    Gelehrsamkeit und Reinheit entfalten.
    Dennoch wird, woran immer wir anhaften, dies unseren Geist binden.
    ‚Sei unvoreingenommen’, ist mein Herzensrat.

  25. Durch das Herbeiführen von Hagel und Donner und durch die Anwendung magischer Formeln,
    Mögen wir glauben, wir könnten die schwer zu Bändigenden zähmen.
    Es wird indes nur ihren Geistesstrom verbrennen und uns in niedere Bereiche führen.
    ‚Nimm einen bescheidenen Platz ein’, ist mein Herzensrat.

  26. Eine Vielzahl tiefgründiger Lehren anzusammeln—
    Wie Schriften, Kommentare und mündliche Anweisungen,
    Sie aber nicht zu praktizieren, wird uns zum Zeitpunkt des Todes nicht hilfreich sein.
    ‚Beobachte Deinen Geist’, ist mein Herzensrat.

  27. Vermögen wir einsgerichtet zu verweilen, ist Einsicht zu erhalten und Verständnis zu entwickeln möglich.
    Doch schreiben wir darüber spirituelle Texte und Lieder—
    Selbst wenn dies Zeichen der Verwirklichung sind, verursachen wir dadurch Konzepte.
    ‚Einen Geisteszustand frei von Konzepten zu bewahren’, ist mein Herzensrat.

  28. Treten begriffliche Gedanken hervor, ist die direkte Sicht entscheidend;
    Haben wir den Geist untersucht, ist es notwendig, ihn zur Ruhe zu bringen;
    Auch wenn es nichts zu meditieren gibt, ist zu meditieren entscheidend.
    ‚Verweile unabgelenkt’, ist mein Herzensrat.

  29. Im Zustand der Leerheit verweilend, handle gemäß Ursache und Wirkung;
    Das Nichthandeln erkennend, handle gemäß der drei Gelübde;
    Ohne bestimmten Fokus, strebe danach, anderen aus Mitgefühl zu nützen.
    ‚Praktiziere die zwei Ansammlungen vereint’, ist mein Herzensrat.

  30. Wenn wir vielen gelehrten Meistern zugehört, profunde Unterweisungen erhalten
    Und etliche Sutras und Tantras studiert haben,
    Diese aber nicht anwenden—‚Oh wie kläglich!’ —täuschen wir uns nur selbst.

Ich verfasste diese 30 Herzensratschläge für mich und alle, die mir ähnlich sind. Mögen hierdurch, entstanden aus dem Geist der Entsagung, alle Wesen frei sein von zyklischer Existenz und in die reinen Bereiche gelangen. Möge ich das Verhalten der Siegreichen aller Zeiten, ihrer Söhne und der Weisen (Rishis) nachahmen und ihnen nachfolgen. Angetrieben vom Geist der Entsagung, habe ich, Tsultrim Lodrö, diese 30 Herzensratschläge verfasst. Mögen sie glücksverheißend sein!


| Übersetzt aus dem Tibetischen von Daniela Hartmann. Redigiert von Michaela Perkounigg


Version: 1.2-20231206

Longchen Rabjam

Longchen Rabjam

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