Dukngal Rangdrol-Kommentar
Die laute Trommel des Sommers[1]
Ein Kommentar zu den schwierigen Punkten des Rituals des Großen Mitfühlenden, „Natürliche Befreiung des Leidens"
von Jigme Lingpa
Mit deiner vollkommenen Sicht schaust du auf alle Wesen,
unaufhörlich über sie wachend
aus den Winkeln deiner Augen –
dir erweisen alle ihre Ehrerbietung!
Hier folgt ein Kommentar zu den schwierigen Punkten des Rituals des Großen Mitfühlenden, „Natürliche Befreiung des Leidens".
I. Die Vorbereitungen
1. Zufluchtnahme
Im Allgemeinen wandern ich und alle anderen Wesen hilflos in diesem anfanglosen und niemals endenden Teufelskreis von Saṃsāra umher, dessen Natur die Wahrheit des Leids ist. Wir müssen also Zuflucht nehmen, doch wird Zuflucht hier nicht auf begrenzte, selbstsüchtige Weise genommen, bei der man nach Frieden und Glück nur für sich allein strebt. Stattdessen wünschen wir uns mit der Motivation eines großen Wesens, alle fühlenden Wesen zur Ebene der Buddhaschaft zu führen. Bis wir das Herz der Erleuchtung erlangen, nehmen wir daher aus tiefstem Herzen und mit brennender Sehnsucht entschlossen Zuflucht zur Verkörperung der Drei Juwelen -- dem äußerst erhabenen Herrn des Mitgefühls, im Wissen, dass er uns kennt und für uns sorgt. Sein Körper ist die Saṅgha, seine Sprache das Dharma und sein Geist der Buddha. Er ist äußerst vortrefflich und der Überragende unter allen Edlen.
2. Erwecken von Bodhichitta
Um höchstes Erwachen zu erlangen, müssen wir uns als Erstes in dem üben, was man Erwecken von Bodhichitta nennt. Zu diesem Zweck denken wir darüber nach, dass es unter allen fühlenden Wesen kein einziges gibt, das nicht schon einmal unser Vater oder unsere Mutter gewesen wäre. Und diese Wesen der sechs Klassen, die alle einst unsere eigenen Eltern waren, erfahren jetzt, in diesem Moment, das Leid ihres jeweiligen Bereiches und sammeln die Ursachen für zukünftiges Leid an. Daher sind sie die Objekte meines Mitgefühls. Sie erkennen die Natur ihres Geistes, ihre Buddhanatur, immer noch nicht. Sie haben keine Gelegenheit, Befreiung zu finden, sondern handeln stattdessen aus Verblendung heraus. Meditiere über die vier Unermesslichen: über liebende Güte, den Wunsch, den Wesen zu nützen; über Mitgefühl, den Wunsch, die Wesen von Leid zu befreien; über Freude, den Wunsch, dass die Wesen Glück erfahren mögen, und über Gleichmut, durch den allen Wesen gleichermaßen genutzt wird. Dies im Sinn haltend, nimm die außergewöhnliche Last großen Mitgefühls auf dich. Versenke deinen Geist völlig in diese vier Verweilorte des Brahma und erwecke das Bodhichitta des Bestrebens – den einsgerichteten Wunsch, alle Wesen auf den Pfad des großen Erwachens zu führen --, sowie der Handlung -- was tatsächlichen Nutzen bringt. Nachdem du inbrünstig über diese beiden Formen des relativen Bodhichitta meditiert hast, lass deinen Geist in der Bedeutung der Soheit ruhen – das ist es, was absolutes Bodhichitta genannt wird.
3. Sieben-Zweige Opfer
Das Sieben-Zweige Opfer ist vergleichbar mit dem Anhäufen der Ansammlungen über drei unzählbare Äonen hinweg. Vervielfache deinen Körper so viele Male, dass du 10 Billionen Emanationen hervorbringst, und erweise allen Quellen der Zuflucht der drei Zeiten – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – mit tiefster Hingabe deine Ehrerbietung. Bringe unübertreffliche Opfergaben dar, zusammengefasst in äußere, innere und geheime Opfergaben. Sowohl die negativen Taten, die sich aus drei Handlungen des Körpers, vier der Sprache und drei des Geistes zusammensetzen, als auch die inhärent negativen Taten sowie die Übertretungen von Geboten gestehe ich offen ein und bekenne sie mit immensem Bedauern und mit Hilfe der vier Kräfte als Gegenmittel. Ich freue mich über alle tugendhaften Handlungen, meine eigenen und die der anderen. Ich flehe alle Buddhas und Bodhisattvas an, das Rad des Dharma zu drehen, und bitte sie, hier zu bleiben und nicht ins Nirvāṇa einzugehen. Um alle Quellen der Tugend für die Erleuchtung zu widmen und mich auf das Wohl der anderen auszurichten, strebe ich danach, dass alle Wesen die Ebene des Edlen erreichen mögen!
4. Darbringung des Torma an hinderliche Kräfte
Es ist, als würde man des Nachts Dämonen zähmen. Īśvaraḥ, der Herrscher des Begierdebereichs, sowie sein gesamtes Gefolge und die Klassen der Geister schaffen Hindernisse für das Erlangen des Erwachens. Als Gegenmittel, das sie bezwingen wird, stelle dir daher vor, dass du dich aus der Silbe Hrīḥ in die Gestalt des Mächtigen Lotus Hayagrīva verwandelst, dessen Anblick all jene überwältigt, die uns in die Irre führen. Er ist der große Zerstörer der Dämonen und Hindernisbereiter. Man visualisiert ihn, auf der Stelle vollkommen. Erteile den Befehl mit den drei Zeilen, die beginnen mit: „Hinderliche Kräfte und Geister, die in die Irre führen, hört!" Dann bedrohe und quäle sie mit den drei Zeilen, die beginnen mit: „Wenn ihr es wagt, nicht zu gehorchen". Schließlich vertreibe sie mit dem Mantra der vier Hūṃs auf die andere Seite des Ozeans.
5. Der Schutzkreis
Auf der Ebene der relativen Wahrheit meditiere über das Samādhi des Vajra-Zeltes: Alle verwirrten Wahrnehmungen der Erscheinung und Existenz sind Vajra-Boden, -Zäune, -Zelte und -Baldachine. Alles dazwischen, bis hin zu den kleinsten Teilchen, ist mit winzigen Vajras angefüllt, so dass noch nicht einmal der Wind hindurchdringen kann. Die Umgebung, nach der du greifst, ist der Palast, und die Wesen, die du dir vorstellst, sind die Mudrās der Gottheiten. Im Zustand der drei Maṇḍalas, in dem du erkennst, dass dein Körper die Gottheit ist, deine Sprache das Mantra und dein Geist die Natur der Realität, können Dämonen und hinderliche Kräfte – die aufgrund von gewohnheitsmäßigen Tendenzen und Verwirrung erscheinen (wie bei der Verwechslung eines Seils mit einer Schlange) –, unmöglich existieren.
Auf der Ebene der absoluten Wahrheit erkennst du, dass die ungeborene Essenz der Dharmakāya ist, die ungehinderte Klarheit der Saṃbhogakāya und das unaufhörliche Ausstrahlen der Erscheinungen der Nirmāṇakāya. In diesem Zustand, der nicht von den drei Kayas abweicht, ziehe die Grenze des Absoluten.
6. Herabströmen des Segens
Der grundlegende Raum der Leerheit ist die große geheime Schatzkammer aller Buddhas. Inspiriert durch die Musik meditativer Konzentration erhebt sich am Himmel des Verdienstes der Schüler und ihrer Wunschgebete unaufhörlich die strahlende Entfaltung des Mitgefühls, frei von Bezugspunkten und von segensvoller Natur -- wie Wolken, die am Himmel aufziehen und dann wieder verschwinden. Auf der relativen Ebene reinigt das Ritual das Greifen nach wahrer Existenz des Maṇḍalas aus zusammengesetzten Substanzen mit Merkmalen, wodurch es in das große Maṇḍala wahrhaft etablierter Weisheit und ursprünglicher, natürlicher Reinheit verwandelt wird.
7. Segnen der Opfergaben
Die äußeren Opfergaben sind die fünf gewöhnlichen Opfergaben; die inneren Opfergaben sind Medizin, Bali und Rakta, und die geheimen Opfergaben sind große leere Glückseligkeit. Auf der relativen Ebene erscheinen sie lediglich alle ausnahmslos als Samaya-Substanzen, doch von ihrer Natur her sind sie Weisheits-Ambrosia, vollkommen in Geschmack und Wirkkraft und mit der Pracht von einhundert reichen Qualitäten ausgestattet. Stell dir vor, dass sie zur auserlesensten Opfergabe werden und die Gottheiten des Maṇḍala erfreuen, und segne sie mit ihrem eigenen Mantra.
II. Der Hauptteil
Dieser hat sieben Teile.
1. Erzeugung des unterstützenden Palastes und der unterstützten Gottheiten
Aus dem Zustand der Soheit heraus, ohne Grund oder Basis, in dem alle Phänomene, die aus verwirrten Erscheinungen bestehen, frei von konzeptuellen Bezugspunkten sind, erhebt sich die Ausstrahlung der Einheit des grundlegenden Raumes – Reinheit und Gleichheit, Leerheit – und die Dharmatā des Gewahrseins als der Weisheitsbereich großer Reinheit. Hier sind die Keimsilben und übereinander gelagerten Elemente keine vom Geist erdachten Dinge; vielmehr ist meine gesamte Wahrnehmung, ursprünglich und spontan vollkommen, der Potala-Berg – Erscheinungen der Ausstrahlung der Weisheit.
In der Mitte des Grundes aus feinstem Gold befindet sich ein klarer, ungetrübter See, dessen Wasser über die acht Qualitäten der Reinheit verfügt und der mit wunscherfüllenden Juwelen gefüllt ist. Es ist ein Ort von hinreißender Schönheit, geziert mit Wasservögeln, Lotosblüten, Kumuda- und Puṇḍarīka-Blumen. Kostbare Bienen von unterschiedlicher Farbe umschwirren sie und summen mit dem Klang des Dharma der drei Fahrzeuge. Ringsum sind prächtige Berggipfel, auf denen Weise und Vidyādharas weilen, ausgestattet mit den vielfachen Pforten des Samādhi. So ist dieser unübertreffliche Bereich angefüllt mit allen Symbolen der Dharmas der Erleuchtung, ausnahmslos. Die Zeichen und Merkmale sind vollkommen, wie es sich in der Form und den Maßen des Palastes zeigt. In diesem Bereich sind alle Phänomene von Grund, Pfad und Frucht durch Läuterung, Vollendung und Zur-Reife-Bringen gereinigt. Ein vielfarbiger, tausendblättriger Lotus ist das Zeichen des Nicht-Verweilens in Existenz oder Frieden bzw. des Verweilens in Saṃsāra, ohne von dessen Makeln befleckt zu werden.
Was das Reinigen der vier Arten von Geburt und der damit verbundenen gewohnheitsmäßigen Tendenzen der Existenz betrifft, erfolgt die Reinigung der Geburt aus Wärme und Feuchtigkeit anhand des Sonnenscheibensitzes, der Wärme reinigt, und des Mondscheibensitzes für die Reinigung der Feuchtigkeit. Die Keimsilbe Hrīḥ reinigt das Greifen im Bewusstsein der Wesen im Zwischenzustand. Egal in welchem Entwicklungszustand sich die Aggregate, Elemente und Sinnesquellen der Wesen befinden: Der Edle -- die Verkörperung der geschickten Mittel großen Mitgefühls und die Gottheit des großen Mitgefühls – sieht sie alle und befreit all diese sechs Arten von Wesen der drei Bereiche mit all ihren Ängsten, verursacht durch die drei Arten von Leid, in sich selbst. Avalokiteśvara hört nie auf, aus seinen Augenwinkeln[2] voller Mitgefühl auf alle fühlenden Wesen zu blicken. Als Zeichen, dass er das sich ewig drehende Rad zum Wohle der Wesen bewegt, ist sein Körper in einer stehenden Haltung. Seine zwei Haupthände sind vor seinem Herzen gefaltet, die beiden anderen halten eine Mālā und einen Lotus, genau wie der Gebieter Khasarpaṇi. Die Ornamente und Gewänder der Saṃbhogakāya-Form sind einfach zu verstehen, doch er hat drei besondere Merkmale: seine Hautfarbe ist weiß mit einem deutlichen Hauch von Rot; er trägt sechs Knochenornamente, und das Fell eines Rehs bedeckt seine linke Brust. Darüber hinaus heißt es bezüglich der neun Arten friedvollen Ausdrucks im Tantra des prächtigen [Weisheits-] Blitzes:
Sie sind sanft, wohlproportioniert,
fest, geschmeidig und jugendlich,
klar, strahlend, anziehend
und lodern vor intensiver Präsenz.[3]
Was die dreizehn Ornamente betrifft, werden zu den fünf Ornamenten des erleuchteten Körpers, der erleuchteten Sprache, des erleuchteten Geistes, der erleuchteten Qualitäten sowie der erleuchteten Aktivitäten sieben Juwelenornamente hinzugfügt[4]:
Krone, Ohrringe, Halskette,
Armreifen, Fußkettchen,
lange Halskette und Kristallhalskette:
Das sind die sieben Juwelenornamente.
Das obere Kleidungsstück aus weißer Seide für den Körper.
Die violett-rote Dharma-Robe für die Sprache.
Der tiefblaue Seidenschal für den Geist.
Der goldene Gürtel für die Qualitäten.
Das smaragd-farbige Untergewand für die Aktivitäten.
Die kraftvolle Ausstrahlung der geschickten Mittel großen Mitgefühls erscheint somit in physischer Gestalt. Als Zeichen, dass seine Form niemals von Einsicht in Leerheit abweicht, ist er umgeben von vier geheimen Gefährtinnen, eine jede auf einem vierblättrigen Lotus sitzend.
Im Osten, auf einer Mondscheibe, ist die Ehrwürdige Tārā, ihr Körper von weißer Farbe, ihre rechte Hand in der Geste überragender Großzügigkeit, eine Utpala-Blüte haltend, und ihre linke Hand in der Geste des Gleichmuts, eine Langlebensvase voller Bodhichitta haltend, das glückverheißend wirbelt.
Im Süden ist Mārīcī, von gelber Farbe. Ihr Ausdruck ist halb zornvoll und aus den Augenwinkeln blickt sie nach oben zur Hauptgottheit. Ihre rechte Hand hält ein wunscherfüllendes Juwel auf der Höhe ihres Herzens und ihre linke Hand ein Sonnen- und Mond-Lasso. Ihre Beine sind in schreitender Haltung, ihr linkes Bein ist angewinkelt, ihr rechtes ausgestreckt.
Im Westen ist Kurukullā, von roter Farbe. Sie hat ein Gesicht und vier Arme, ihre zentralen Hände halten Pfeil und Bogen aus Lotus-Blüten, ihre untere rechte Hand hält einen Eisenhaken aus Lotusblüten und ihre untere linke Hand ein Lasso aus Lotus-Blüten. Ihr rechtes Bein ist angewinkelt, ihre Ferse befindet sich auf Höhe ihrer Bhaga und ihr linkes Bein trampelt auf den Brüsten von Umā. Sie trägt einen Tigerfellrock und ist geschmückt mit den sechs Knochenornamenten und einer Girlande aus Lotus-Blüten, so lang wie ihr Körper.
Im Norden ist Vasudhārā, von grüner Farbe, auf einer überfließenden Schatzvase. Sie steht aufrecht auf ihren zwei Füßen und ist mit Juwelen geschmückt. Ihre rechte Hand hält ein wunscherfüllendes Juwel und ihre linke Hand einen wunscherfüllenden Mungo auf Höhe ihrer Taille.
An den vier Toren befinden sich die vier Hayagrīvas auf Lotus- und Sonnenscheibensitzen und ein Rudra. Die Farbe ihres Körpers entspricht ihrer jeweiligen Aktivität; jeder hält Krummmesser und Schädelschale. Mit den neun Arten zornvollen Ausdrucks sind sie majestätisch und furchteinflößend; sie sind geschmückt mit den acht zornvollen Ornamenten.
In den Höfen befinden sich die Buddhas, Bodhisattvas, Vidyādharas, Scharen von Heldenhaften und Dākinīs und ein Ozean von samaya-gebundenen Dharma-Schützern – kurz gesagt, das gesamte Juwel der Saṅgha des Großen Fahrzeugs (all jene, die die Qualitäten der Bhumis und Pfade verwirklicht haben) ist versammelt wie Wolken. Auf diese Weise erscheinen die Formen all jener des Samaya-Maṇḍalas, sind jedoch ohne wahre Essenz, wie ein Regenbogen – erscheinend und doch leer, leer und doch lebendig präsent und unverstellt. Die drei Zentren der Gottheiten – an ihrem Scheitel, ihrer Kehle und ihrem Herzen – sind mit den drei Keimsilben oṃ, āḥ und hūṃ markiert, deren Natur die von Vajra-Körper, -Sprache, -Geist und -Weisheit aller Buddhas ist. Die Silben segnen unsere gewöhnlichen drei Pforten als die drei Vajras, und sie sind der tiefgründige gegenseitig abhängige Umstand, durch den alle Qualitäten von Grund, Pfad und Frucht vollendet werden. Von ihnen strömt Licht aus zur natürlichen, überragenden Wohnstätte des wahren, tiefgründigen und friedvollen Raumes, frei von jeglichen Vorstellungen, zum illusions-gleichen, höchsten reinen Nirmāṇakāya-Land Potala, wo Wesen gezähmt werden, zu den zweiunddreißig Ländern, die Grund, Pfade und Pforten der Befreiung darstellen, den vierundzwanzig heiligen Orten sowie den acht Leichenäckern und laden das Maṇḍala der Weisheitsgottheiten ein. Mit den Worten des großen Vajra-Samaya -- vajra-samājaḥ – rufst du sie herbei und lädst sie ein.
2. Einladung
Obwohl der reine Bereich und jene, die von dort eingeladen werden, nicht wirklich existieren, entspricht die Einladung als ein Mittel, um die zwei Arten von Errungenschaft zu erlangen, den weltlichen Ausdrucksformen der Huldigung und Ehrerbietung, da gewöhnliche Wesen die Dinge überlicherweise als real sehen und da die Natur der Realität mit Bedingungen und Bestrebungen in Einklang ist. Sprich die Einladung aus, während du Räucherwerk verbrennst und mit schöner Melodie rezitierst: Hrīḥ! Vom Mächtigen Palast der Großen Glückseligkeit im Westen. Die Scharen von Gurus, Yidams, Buddhas und Bodhisattvas kommen herbei und erfüllen den Himmel; dann verschmelzen sie mit dem Samaya-Maṇḍala.
3. Die Gottheiten bitten, Platz zu nehmen
Für die Edlen, die die tiefgründige Wahrheit der Wirklichkeit gesehen haben, sind die Einladung und so weiter lediglich konventionelle Zuschreibungen; sie sind jenseits von Bezugspunkten als objekthafte Phänomene. Für das natürlich befreiende und mitfühlende Weisheits-Maṇḍala der Dharmatā gibt es kein Kommen, Ankommen oder Verweilen. Doch um die vorübergehenden Makel der Dualität von greifendem Subjekt und ergriffenem Objekt zu reinigen, das Ziel der Reinigung unseres Elements der Buddhanatur, bitte das Samaya-Wesen und das Weisheits-Wesen – von Uranfang an untrennbar— darum, standhaft hier zu bleiben. Praktiziere dies mit großem Vertrauen in ihre Weisheit und vollständige Reinheit.
4. Niederwerfung
Der Gesegnete, der Verwirklichte Bezwinger[5] hat die emotionalen und kognitiven Verdunklungen vollständig überwunden und die beiden Reinheiten erlangt. Vor diesem Edlen Buddha, der Verkörperung großen Mitgefühls, und den Scharen von Gottheiten werfe ich mich symbolisch nieder, als Zeichen der Verwirklichung der sich natürlich erhebenden Weisheit, frei von Verwirrung. Geradeso wie die Götter der Emanation der Freude die Freuden genießen, die sie selbst hervorbringen, transzendiert diese Praxis alle Vorstellungen von Annehmen oder Ablehnen basierend darauf, das Objekt der Niederwerfung und derjenige, der die Niederwerfungen darbringt, als gut oder schlecht zu betrachten. Um also Zuversicht in die Erkenntnis zu entwickeln, dass die Gottheit mit einem selbst identisch ist, habe ich hier die Bedeutung von Niederwerfungen erläutert.
5. Opfergaben
Bereite ein paar tatsächliche Opfergaben zur Unterstützung deiner Visualisierung vor und emaniere dann im Geist erzeugte Opfergaben – genau wie sie der Bodhisattva Samantabhadra in seiner meditativen Konzentration entfaltete – einschließlich der fünf üblichenOpfergaben, der fünf Göttinnen der Sinnesfreuden, wie z.B. der Vajra-Gebieterin der Form, sowie aller weltlichen Reichtümer und Genüsse der Welten der Götter und Menschen, ihrer Parkanlagen, Paläste, Schmuck- und Kleidungsstücke: All dies bringe ich dar.
6. Besondere Opfergaben
Die erstaunlichen Samaya-Substanzen, die die Weisheit der großen Glückseligkeit hervorrufen, sind denen der niederen Tantras überlegen. Zu ihnen gehören medizinische Ambrosia mit acht Haupt- und eintausend Nebenzutaten, eine unendlich große Reihe von Tormas, Rakta mit fünfunddreißig Zutaten, die Saṃsāras fortschreitende Weiterentwicklung reinigen und rückgängig machen, die Genüsse des Gaṇacakra, die illusionsgleiche Vajra-Königin oder (wenn der Ursache der Name des Resultats gegeben wird) die Weisheitsgefährtin (genannt), die in den Künsten bewandert ist und die Weisheit der vier Freuden inspiriert. Dann erbitten wir die wahre Errungenschaft (die auf der Weisheit des Beispiels der dritten Ermächtigung basiert) der unvorstellbaren Weisheit der vierten Ermächtigung, die jenseits des Geistes ist und deren Essenz die Opfergabe der Mahāmudrā ist.
7. Darbringen von Lobpreis
Der grundlegende Raum ist die tiefgründige, friedvolle Ausdehnung jenseits von Ausführlichkeit, die wir konventionell als den Palast bezeichnen. Er ist nicht mit dem konzeptuellen Geist verbunden. Der Weisheitsaspekt natürlicher spontaner Präsenz strahlt nach außen als Saṃbhogakāya aus, ausgestattet mit den fünf Gewissheiten und den sieben Aspekten der Vereinigung. Du erhebst dich in dieser Form mit Meisterschaft über einen Ozean von Haupt- und Nebenmerkmalen. Du manifestierst dich erneut in einem Formkörper, vollkommen in allen Aspekten, als eine große Schatzkammer grenzenlosen und endlosen Mitgefühls für alle Wesen. Hier erweise ich dir Ehrerbietung in Einklang mit deinen Qualitäten.
Auf diese Weise führt Avalokiteśvara auf ewig die erleuchteten Aktivitäten der vier Unermesslichen aus, während er geschickt alle Wesen auf dem Pfad der Befreiung und Allwissenheit führt. Mit dem Tanz seiner Emanationen und seines Mitgefühls zähmt er jedes Wesen gemäß seiner Bedürfnisse und führt mit der Kraft, sich auf wundersame Weise in vielfältige Gestalten verwandeln zu können, wie zum Beispiel in die Gebieterinnen der vier Familien, erleuchtete Aktivitäten aus. Ihre Aktivitäten sind wie folgt: Tārā gewährt langes Leben; Mārīcī zähmt hinderliche Kräfte, Kurukullā zieht an und gibt Kraft, und Vasudhārā vermehrt Reichtum. Und so erweise ich diesen vier emanierten Göttinnen meine Ehrerbietung.
Mit Meisterschaft über alle vier erleuchteten Aktivitäten des Befriedens, Vermehrens, der Anziehung und Kraft sowie der zornvollen Aktivität und Entfaltung zornvoller Raserei, die in die Irre führende Kräfte unterwirft, führen Hayagrīva und die Torwächter der vier Familien ihre unerträglich zornvollen erleuchteten Aktivitäten aus.
Und so preise ich die neun Hauptgottheiten, das gesamte Maṇḍala der Gottheiten, einschließlich einer unvorstellbar großen Zahl von Gästen.
Der achte Abschnitt, die Mantra-Rezitation mit dem Aussenden und Wiederaufnehmen von Lichtstrahlen und so weiter, ist im Text selbst klar verständlich.
Das Weihen von Pillen, die durch Schmecken befreien, wird im Pratri-Kommentar[6] beschrieben.
Dzogchenpa Rangjung Dorje hat dies als Antwort auf die beharrlichen Bitten verfasst, die zusammen mit zwölf Silbermünzen vom voll ordinierten Mönch Rintengpa aus dem Dharma-Zentrum Gyangtse Palkhor[7] dargebracht wurden, der einzig diese Gottheit als die außergewöhnlichste und höchste erachtet.
| Englische Übersetzung Han Kop für das Longchen Nyingtik Project, 2021, mit freundlicher Unterstützung von Tulku Dawa und Khenpo Sonam Tsewang, editiert von Ane Tsöndrü. Mit Dank an Hans und Evelien van Zijp für ihre anhaltende Unterstützung, die diese und viele andere Übersetzungen möglich gemacht hat. Deutsche Übersetzung Sushma Baumgartner 2022. Lektoriert von Erika Bachhuber und Karin Behrendt.
Quellenangaben
Tibetische Ausgaben
'jigs med gling pa mkhyen brtse 'od zer. „thugs rje chen po sdug bsngal rang grol gyi cho ga'i dka' 'grel dbyar gyi rnga gsang.“ In gsung 'bum/ 'jigs med gling pa/ sde dge par ma. 9 Bände. BDRC W27300. Gangtok, Sikkim: Pema Thinley für Dodrupchen Rinpoche, 1985. Band 7: 825–836.
______. „thugs rje chen po sdug bsngal rang grol gyi cho ga'i dka' 'grel dbyar gyi rnga gsang.“ In klong chen snying thig rtsa pod. 5 Bände. BDRC W1KG13585. Bodhnath, Kathmandu und Bodhgaya, Bihar: Shechen Publications, 1994. Band 2: 365–381.
Weitere Quellen
Chos kyi rgya mtsho. dbus gtsang gnas yig. BDRC W27524. Chengdu: Si khron mi rigs dpe skrun khang, 2001. Seite 382–391.
Jigme Lingpa und Getse Mahapandita Tsewang Chokdrub, Deity, Mantra and Wisdom: Development Stage Meditation in Tibetan Buddhist Tantra, ins Englische Übersetzung Dharmachakra Translation Committee, Ithaca: Snow Lion, 2007.
Version: 1.3-20230202
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„Die Trommel des Sommers" ist ein Synonym für Donner. ↩
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Die ist ein Wortspiel mit der Bedeutung der tibetischen Übersetzung für Avalokiteśvara, Chenrezik (spyan ras gzigs). ↩
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Wie es im Text Leiter zum Akaniṣṭha zitiert wird, in Jigme Lingpas und Getse Mahapandita Tsewang Chokdrubs Deity, Mantra and Wisdom: Development Stage Meditation in Tibetan Buddhist Tantra, Englische Übersetzung Dharmachakra Translation Committee, Snow Lion, 2007, Seite 43. ↩
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Sieben und fünf ergeben selbstverständlich zwölf. ↩
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Die tibetische Übersetzung des Skt. Bhagavān (ins Deutsche übersetzt als Der Gesegnete), chomdende (bcom ldan 'das), wird oft anhand der drei Sinneinheiten des Wortes erklärt: bezwungen (bcom, chom ausgesprochen), besitzend oder vollendet (ldan; den ausgesprochen) und transzendent ('das; de ausgesprochen). Hier ist das Wort abgekürzt zu den ersten beiden Sinneinheiten, „bezwungen" (bcom; chom) und „besitzend/vollendet" (ldan; den), und so werden hier nur diese erläutert. ↩
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Der „Pratri"-Kommentar, der die Kernanweisungen offenlegt, vom Großen Mitfühlenden, die Natürliche Befreiung des Leidens (thugs rje chen po sdug bsngal rang grol las/ pra khrid dmar byang gnad yig) ↩
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Gyangtse Palkhor (rgyang rtse dpal 'khor) ist ein Kloster in Zentraltibet. Es wird in Katok Situ Chökyi Gyatsos (kaḥ thog si tu chos kyi rgya mtsho, 1880-1925) berühmter Anleitung für Pilgerreisen nach Zentraltibet beschrieben. ↩