Als die Blumen vom Frost verwüstet wurden
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Als die Blumen vom Frost verwüstet wurden
von Jamyang Khyentse Chökyi Lodrö
Edler Guru, einzigartige Verkörperung der Drei Juwelen,
der unfehlbaren Quellen der Zuflucht,
mögen deine Lotusfüße meine Krone schmücken.
Wende meinen Geist dem Dharma zu!
Während der üppigen Zeit des Ernte-Mondes,
erschienen Blumen, die aus dem Königreich von Nepal stammten,
in einer reichen Farbenpracht,
jede so wunderschön wie ein attraktives Mädchen;
sie weckten Hunderte von Freuden und boten Trost und Entzücken
für die Augen und Gemüter aller, für Weise und Törichte gleichermaßen –
solch unermessliche Fülle an vollkommener Pracht!
Dann, in der dunklen Nacht des Achtundzwanzigsten
jenes Herbstmonats, erhob sich
die strahlende Tochter eines klaren, silbernen Himmels,
die hellgesichtige Göttin der Konstellationen,
die den frischen Duft des Morgentaus brachte
und im Morgengrauen weiße Hüte
auf die Köpfe aller Blumen setzte,
sodass sie in der aufgehenden Sonne verwelkten.
Ihre Blätter und Blütenblätter sanken alle hernieder,
ihre Hälse stützten ihre Kronen nicht mehr,
und sie glichen den Leichen von Toten.
Dieses Beispiel veranschaulicht die Vergänglichkeit:
wie der Glanz der Jugend
von den Armeen der verstreichenden Monate und Jahre überwältigt wird
und im weitläufigen Dunkel des Herrn des Todes
unzählige Yamas verblendeter Wahrnehmung wie Frost erscheinen,
der die Blumen der geliebten Körper verwüstet,
sodass ihre Köpfe sinken, ihre Unterlippen erschlaffen,
und ihre Glieder so starr und hart werden wie Holz.
Es besteht kein Zweifel, dass solch furchtbaren Schrecken
sich in Bälde ereignen werden.
Und da das mehr ist, als mein Herz ertragen kann,
muss ich mich sofort dem Dharma zuwenden,
oder ich werde ohne Rückhalt dastehen.
Jetzt, solange ich die Freiheit habe,
lass mich daher nicht der Faulheit oder Trägheit erliegen.
Und während ich die großen Feuer des Eifers entfache,
inspiriere mich mit deinem Segen,
damit ich das Dickicht der Leid schaffenden Emotionen verbrenne
und rasch der Feuergrube
des Saṃsāra, das so schwer zu überwinden ist, entfliehe.
Du, mein edler Vater-Guru, sorge für mich!
Als ein Blumenmeer vom Frost verwüstet wurde, schrieb ich dieses traurige Lied nieder, während ich über die Vergänglichkeit nachdachte.
| Englische Übersetzung: Adam Pearcey, mit der großzügigen Unterstützung der Khyentse-Stiftung und des Tertön Sogyal Trust, 2021. Deutsche Übersetzung Daniel Dastagir, 2023 unter Mitarbeit von Lakshmi. Lektoriert von Karin Behrendt.
Version: 1.1-20230424