Der Juwelenkranz des Bodhisattva
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Der Juwelenkranz des Bodhisattva
von Atiśa Dīpaṃkara
In der Sprache Indiens: Bodhisattvamaṇyāvalī
In der Sprache Tibets: changchub sempe norbü trengwa
In der deutschen Sprache: Der Juwelenkranz des Bodhisattva
Verehrung dem großen Mitgefühl!
Verehrung den Gottheiten, die Vertrauen und Hingabe inspirieren!
Verehrung den Meistern!
Lass Zweifel und Unentschlossenheit hinter dir
und widme dich mit ganzem Herzen deiner Praxis.
Schüttle Trägheit, Stumpfsinn und Faulheit ab
und bemühe dich stets mit Eifer und Freude.
Sei achtsam, wachsam und sorgfältig –
bewache die Pforten deiner Sinne immerfort.
Dreimal bei Tag und dreimal bei Nacht,
untersuche deine Gedanken, wieder und wieder.
Gestehe deine eigenen Schwächen ein
doch suche nicht nach Fehlern bei anderen.
Rühme das Gute an anderen,
aber schweige, was deine eigenen Stärken betrifft.
Lass ab von jedem Begehren nach Gewinn und Ehre,
und überwinde den Drang nach Vorteil oder Ruhm.
Kultiviere liebende Güte und Mitgefühl
und festige dein Bodhicitta.
Vermeide die zehn unheilsamen Taten
und stärke deinen Glauben und dein Vertrauen.
Sei genügsam und zufrieden mit dem, was du hast, und erwidere dankbar jede dir erwiesene Güte.
Überwinde Wut und Arroganz,
und wahre eine bescheidene Geisteshaltung.
Schwöre unheilsamen Lebensweisen ab
und sorge für deinen Lebensunterhalt im Einklang mit dem Dharma.
Überwinde deine Sucht nach materiellem Besitz
und schmücke dich mit den Reichtümern der Āryas.
Der Besitz von gläubigem Vertrauen, Disziplin,
Großzügigkeit und Gelehrsamkeit,
Anstand, Selbstkontrolle
und Weisheit – dies sind die sieben Reichtümer.
Die heiligsten Formen von Wohlstand
sind diese sieben Schätze, die niemals schwinden.
Sprich darüber nicht mit nicht-menschlichen Wesen.
Lass alle Geschäftigkeit und Ablenkung hinter dir
und verweile stattdessen in Abgeschiedenheit und Einsamkeit.
Halte dich fern von nutzlosem Geschwätz
und achte stets auf deine Worte.
Wann immer du deinen Meister oder Lehrer siehst,
biete an, ihnen mit Hingabe und Respekt zu dienen.
Betrachte sowohl jene mit erleuchteter Sicht
als auch jene, die frisch den Pfad einschlagen,
als deine spirituellen Lehrer.
Wann immer du fühlenden Wesen begegnest,
betrachte sie als deine Eltern oder Kinder.
Schließe keine Freundschaft mit jenen, die schädlichen Handlungen frönen,
sondern halte dich stattdessen an wahre spirituelle Freunde.
Gib alle Feindseligkeit oder Böswilligkeit auf
und sei freudvoll auf all deinen Wegen.
Lass nicht die geringste Anhaftung in dir entstehen
und bleibe frei von Begierde und Verlangen.
Anhaftung verhindert nicht nur glückliche Wiedergeburten,
sie vernichtet sogar die Lebenskraft der Befreiung selbst.
Solltest du einen Weg zu Frieden und Glück entdecken,
bemühe dich ständig, ihn in die Tat umzusetzen.
Gib jeder Aufgabe, die du begonnen hast,
Vorrang vor allem, bis sie vollendet ist.
Gehst du so vor, wirst du Erfolg mit allem haben,
wenn nicht, wirst du gar nichts erreichen.
Erbaue dich nie an schädlichen Taten. Und wenn sich Gedanken von Überlegenheit einschleichen, dämpfe deinen Hochmut auf der Stelle und erinnere dich des persönlichen Ratschlags deines Meisters. Wann immer du entmutigt bist oder nicht weiter weißt, ermutige dich, rede dir gut zu, und meditiere stets über Leerheit.
Wenn du auf Objekte der Anhaftung oder Abneigung triffst,
betrachte sie als bloße Sinnestäuschungen oder Projektionen.
Bekommst du unangenehme Worte zu hören,
verstehe sie als reines Echo.
Wenn dir körperliches Leid widerfährt,
sieh es als die Frucht deiner vergangenen Taten.
Verweile stets in Abgeschiedenheit, fern von Orten und Städten,
und halte dich, dem Kadaver eines wilden Tieres gleich,
verborgen in der Natur, allein,
frei von aller Verstrickung und Anhaftung.
Halte stets deine Gelöbnisse und Verpflichtungen ein, und wenn dich Faulheit überkommt oder du Dinge aufschieben willst, führe dir sofort deine Fehler vor Augen, einen nach dem anderen, und erinnere dich an den Kern deiner Disziplin.
Wann immer dir jemand begegnet,
sprich auf ruhige, ehrliche und aufrichtige Art.
Blicke andere nicht finster oder wütend an
und zeige stets ein fröhliches Lächeln.
Sei in Gesellschaft von jenen, die du tagtäglich triffst,
nicht geizig, sondern freigebig
und verbanne alle Gefühle von Neid.
Um die innere Ruhe anderer zu wahren,
vermeide Streitereien jeglicher Art
und sei stets geduldig und nachsichtig.
Sei kein Schmeichler oder launenhafter Freund
sondern immer beständig und verlässlich.
Setze andere niemals herab oder verunglimpfe sie,
sondern behandle jeden mit Respekt.
Wenn du Ratschläge gibst oder Belehrungen erteilst,
tue es mit Mitgefühl und dem aufrichtigen Wunsch zu helfen.
Übe niemals Kritik an den Lehren..
Verfolge das, was dich am meisten inspiriert,
und, mittels der zehn Formen von Dharma-Praxis[1]
übe dich in Sitzungen, Tag und Nacht.
Im Beisein anderer halte deine Zunge in Zaum,
bist du alleine, deinen Geist.
Welche Tugenden du in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auch anhäufen magst,
widme sie alle dem großen, unübertroffenen Erwachen.
Teile dein Verdienst mit allen fühlenden Wesen
und bringe mittels der Sieben-Zweige-Praxis
fortwährend umfassende Wunschgebete dar.
Praktizierst du derart, wirst du
die beiden Ansammlungen von Verdienst und Weisheit vollenden
und die zwei Arten von Verblendung beseitigen.
Du wirst diesem menschlichen Leben Bedeutung verleihen
und mit der Zeit höchste Erleuchtung erlangen.
Hiermit endet „Der Juwelenkranz des Bodhisattva", der vom großen indischen Pandita Dīpaṃkara Śrījñāna verfasst wurde.
| Übersetzt von Jurek Schreiner, Rigpa-Übersetzungen 2012, unter Mitarbeit von Verena Pfeiffer, Erika Bachhuber und Karin Behrendt.
-
Die zehn Formen spirituellen Trainings: schreiben, Opfergaben darbringen, Großzügigkeit, Dharma-Belehrungen hören, auswendig lernen, lesen, lehren, rezitieren, kontemplieren und Meditation. ↩